Auszug aus dem Text

„Die vom Himmel tanzen“

aus dem Jahr 2013

 

Immer wieder schweifen ihre Blicke ab. Da entdeckt sie ein kleines schwarzes Gerät auf dem Boden liegen. Sie erinnert sich, dass sie den Buchhändler gefragt hat, was das denn sei. Der hat ihr dann erklärt, dass ist ein Fidibus, ein elektrischer Fidibus, aus Bakelit, mit dem man Papierschnipsel entzünden kann, um damit das Feuer im Ofen zu entfachen. Der schwarze kleine Stecker ist mit einem Mal viel interessanter als das Märchenbuch, sie hebt es auf und steckt es in die Steckdose. Langsam beginnt der spiralförmige Draht zu glühen. Marianne hält ihre Hände darüber. Angenehm ist das.

Plötzlich hört sie ihre Mutter rufen. Sie schnellt hoch, reißt die Wohnungstüre auf und der Wind bläst durch die kaputten Scheiben durch die gesamte Wohnung. Längst ist sie wieder in der elterlichen Wohnung. Sie hat keine Ahnung, was in der Wohnung über ihnen im Gange ist.

Diese heftige Luftbewegung durch das Aufreißen der Türe wirbelte die ganzen Zeitungsstapel, die ebenfalls zusammen mit den Bücherstapeln den kompletten Parkettboden der Wohnung bedecken, durcheinander. Wie in Zeitlupe fliegen die Schnipsel durch den Raum. Eines der Blätter verhängt sich am Fidibus und fängt sofort Feuer. Und innerhalb weniger Minuten brennt die ganze Wohnung, alles Papier steht hell in Flammen.

In der Wohnung darunter merkt man erst nichts. Langsam hört man Schreie am Gang und auch draußen von der Straße. Im Haus gegenüber gehen die Lichter an. Die Menschen stehen an den Fenstern. Mariannes Mutter kann im ersten Moment die Zurufe und das ganze Geschrei überhaupt nicht einordnen. Erst als sie das Fenster öffnet und eine hysterische Frau „es brennt, es brennt!“ rufen hört und sich aus dem Fenster beugt, um dorthin zu blicken, wo alle hinzeigen, ist ihr alles klar.

Los Kinder, wir müssen aus dem Haus, schnell. Nehmt mit, was ihr tragen könnt!

Was ist denn los?

Marianne, es brennt. Über uns brennt es. Es ist wohl die Wohnung des Buchhändlers. Diese Bücher, Haufen von Papier, brennen ja wie Zunder. Schnell, schnell! Das kleine Mädchen steht wie angewurzelt da. Mit einem Male ist ihr bewusst, was das zu bedeuten hat. Und ihr ist auch klar geworden, dass sie Schuld an dem Unglück hat.

Mama der Fidibus!

Was? Komm Marianne, wir haben keine Zeit.

Sie drängt ihre Kinder zur Wohnung hinaus. Im Stiegenhaus ziehen die Rauchschwaden durch den Gang.

Versucht nicht einzuatmen.

Kaum ausgesprochen, beginnt die Mutter zu husten. Sie schnappt sich schnell die griffbereiten Habseligkeiten und rennt ebenfalls die Treppen hinunter und raus aus dem Haus. Dort stehen schon Hausbewohner, viele noch im Pyjama. Erst jetzt ist das ganze Ausmaß sichtbar. Die Flammen schlagen aus dem kompletten zweiten und dritten Stockwerk.

Marianne beginnt zu heulen.

Mama ich bin Schuld.

Was redest‘ denn da, Kind.

Aber der Fidibus.

Beruhig dich bitte.

Auf einmal gibt es einen lauten Knall. Auf die fassungslosen Menschen im Schnee regnen tausende Glassplitter herab. Die Fenster sind geborsten und nun bahnen sich die Flammen ihren Weg nach draußen. Züngeln die Hauswand empor. Einzelne Dachziegel rutschen und fallen herab. Die Menge stobt auseinander um Sekunden später wieder wie hypnotisiert auf das Ereignis zu starren. Das Feuer hat den Dachstuhl erreicht und die Flammen lodern hoch in den Himmel hinauf. Binnen kürzester Zeit brennen die Dachstühle der Häuser links und rechts und innerhalb nur einer Stunde steht die gesamte Häuserzeile in Brand. Bei all dem Schrecken hat das Bild auch etwas Poetisches. Dicker Schneefall, das orange Licht der lodernden Flammen, die Dämmerung. Ein Schauspiel, das man nicht alle Tage sieht.